Reisetagebuch

Slipstelle im Kommunalhafen von Gera Lario
Slipstelle im Kommunalhafen von Gera Lario

Comer See - Zwei Lehrstücke am ersten Tag

Gestern war nach langer Anreise an die Nordspitze des Comer Sees erst spät ins Bett gekommen. Dies steht in einer gemütlichen, reinlichen Hütte auf einem Campingplatz am Ortsrand von Gera Lario. Allerdings ist es ein Stockbett und ich schlafe unten. Als man das Bettgestell konzipiert hatte, waren die Menschen wohl kleiner und offenbar auch lederhäutiger. Denn stößt man von unten an die Bettunterseite, kann man sich leicht die Haut an dem Drahtgeflecht der Federung mit spitzen, scharfen Kanten aufreißen. Dafür bieten die umgebogenen Drahtenden zahlreiche Möglichkeiten um allnächtliche Utensilien wie beispielsweise meine Stirnlampe, Ohrenstöpsel und Handy griffbereit zu befestigen. Diese Gelgenheit nutze ich gerne und knüpfe damit an meine letzte Reise an, als ich vor einigen Wochen auf dem Segelschulschiff "Alexander von Humboldt II" über die Nordsee gesegelt war. Dort waren in meiner Koje auch mehrer Haken vorhanden, so dass es mir gelungen war, meine Kleidung, sowie ständig benötige Gegenstände wie Trinkflasche, Sonnenbrille und sogar den Waschbeutel und die Kameratasche frei schwingend in Reichweite zu befestigen.
Vor der Hütte befinden sich ein Kühlschrank, ein Gasherd und ein Waschbecken unter einem zwei Meter breiten Vordach. Für die Zubereitung der Mahlzeiten und den abendlichen Aufenthalt, um in Ruhe diese Zeilen zu schreiben, ist diese Konstellation vollkommen ausreichend.


Nach dem Frühstück folgte die erste Hürde des Tages, nämlich das Slippen unseres Motorbootes. Der Hafen der Gemeinde liegt direkt nebenan und war schnell gefunden. Auf einer Natursteinrampe hatte mein Bruder, mit dem ich auf dieser Reise unterwegs bin, die Aufgabe, den am Auto festgekuppelten Bootsanhänger rückwärts in das Hafenbecken rollen zu lassen. So weit, bis das Boot aufschwamm. Ein Gespann vor Publikum zu Rangieren ist kein Vergnügen. Schließlich gelang es ihm nach etwas Kurbelei, das Boot in sein angestammtes Element zu befördern. Von dort brachen wir zu einer ersten Probefahrt an des Ostufer des Comer Sees auf. Das dauerte nicht lange, denn das norditalienische Gewässer ist zwar in Form eines Ypsilons weit von Norden nach Süden gestreckt, aber schmal. Nicht schmal genug, als dass uns nicht auf dieser kurzen Strecke gleich zwei Malheurs passieren konnten. Zunächst stellten wir fest, dass der Motor keinen Kühlwasserstrahl hervorbrachte. Für die Maschine war das lebensbedrohlich, denn es bedeutete, dass kein ausreichender Kühlkreislauf zu Stande kam, der Motor zwangsläufig überhitzen würde und schließlich kapitalen Schaden erleiden würde. Zur Reparatur genügte es allerdings den Außenborder anzukippen, so dass die Ein- und Auslässe für das Seewasser durchgespült wurden und von den vermutlich im Hafenbecken verschluckten Pollen und Blättern befreit wurden.
Wenig später erstarb plötzlich der Motor und ließ sich auch nicht mehr starten. Einmal mehr fuhren wir die Schraube aus dem Wasser und fanden dort unsere Vorleine um den Propeller gewickelt. Es war das Ergebnis meines groben Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht, denn ich hatte die Leine losgemacht und dann auf der Bugspitze liegen lassen in der Erwartung, sie werde dort sicher liegen blieben. Doch die ersten Wellen hatten sie ins Wasser fallen lassen, wo sie zwangsläufig unter dem Rumpf hindurch getrieben war und sich schließlich um unsere Schraube gewunden hatte. Auch diese Panne ließ sich schnell beheben und wir konnten unsere Fahrt um die Erfahrungen aus zwei Lehrstücken reicher fortsetzen.
Weil wir nun aber in unserer Experimentierfreude gehemmt waren, verwarfen wir unser Vorhaben in der Bucht "Laghetto di Piona" zu ankern und machten stattdessen an einer Boje fest. Wir lagen nur zehn Meter vom Ufer entfernt, doch unser Echolot zeigte über 30 Meter Wassertiefe an. So wie die Gebirgswände ringsum zum See hin abstürzen, setzt sich diese Neigung auch unter Wasser fort. Bei der Überquerung des See zeigte der Tiefenmesser über 200 Meter an.
Wir ließen uns eine Weile schaukeln, bis wir Donnergrollen hörten. Im Süden waren über dem Gebirge hohe Wolkentürme zu sehen. Im Westen schob eine Cumulus nimbus-Wolke ihren Amboss-Kopf bereits hinaus über den See. Das verhieß Gewitter und Regen mit heftigen Böen. Als Segelerin bin ich darauf geeicht, bei solchen Vorzeichen den Schutz eines Hafens zu suchen. Ob diese Himmelszeichen auch hier die gleiche bedrohliche Bedeutung haben, wusste ich aber nicht. Also eilten wir uns nicht, den Hafen anzulaufen und fuhren deshalb die letzte Meile unter dicken Regentropfen in den Hafen ein. Ein Gewitter war nicht über uns aufgezogen, aber ein Regenschauer schon. Während wir zum ersten Mal an unserem Liegeplatz anlegten und austüftelten, wie wir das Boot am sichersten festmachen sollten, wurden wir nassgeregnet.

Denkmal der Infanterie in Sorico
Denkmal der Infanterie in Sorico

Als wir dann zu unserer Hütte zurückgelaufen waren, belohnten wir uns, indem wir den Grill anwarfen und ein gutes Kilo mitgebrachter Spare Ribs darin schmorten. Die See- und Gebirgsluft ermöglichte es mir eine gewaltige Menge davon zu verdrücken, was mich wiederum in der Folge nötigte, noch einen ausgedehnten Verdauungsspaziergang zu unternehmen. Er führte mich zunächst nach Norden am Seeufer entlang. Auf dem örtlichen Friedhof besah ich mir einige Reihen Gräber und bemerkte auch die zweier junger Männer, die mit Anfang Zwanzig am gleichen Tag gestorben waren. Ich vermutete ein Unglück dahinter. Vor dem Friedhofstor bemerkte ich einen Gedenkstein mit italienischer Flagge und gekreuzten Kanonen. Ich hielt es für ein Denkmal zu Ehren der gefallenen Soldaten Italiens und übersetzte die Inschrift
"A IFANTI D'ITALIA
A I CADUTI"
zunächst nicht ganz richtig. Es bedeutet: "Der Infanterie Italiens - den Gefallenen".
Insofern hatte ich nicht ganz falsch gelegen. Auf dem Rückweg sah und roch ich auch das kleine örtliche Klärwerk. Nicht, dass ich es besonders fand, aber es war das letzte Außergewöhnliche an einem ohnehin ereignisreichen Tag, der nun sein Ende fand.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.