Reisetagebuch

Mit dem Bus Sumatra durchquert

Nach acht Stunden in der eiskalten Fähre entlang der Küste von Sumatra gehe ich den Anleger der Hafenstadt Dumai entlang und spüre weder meine Zehen noch meine Fingerspitzen. Sie sind taub gefroren. Den Indonesiern, die mit mir auf dem Schiff waren, hat die Kälte offenbar nichts ausgemacht. Für mich ist es immer noch ein Mysterium, weshalb die Bewohner einer Tropeninsel im T-Shirt dasitzen können, während ich als Eingeborene Mitteleuropas mich kaputt friere. Meine aktuelle Theorie ist, dass die Klimaanlagen-Kälte anders empfunden wird.
Für mich fühlt sie sich definitiv kalt an.


Dort wo der Steg den festen Boden erreicht, ist ein Durchgang und dort ist schon jetzt eine Schreierei. Etwa 50 Fahrer von Moped-Taxis drängen auf die Ankommenden Schiffsreisenden ein; in einer Heftigkeit, dass man Angst kriegen könnte. Natürlich bieten sie nur ihre Dienste an. Ich folge meiner bewährten Taktik, pflüge ich mich durch die Menge, gehe auf kein Angebot ein und etwas weiter weg, bis mir niemand mehr folgt. Sobald ich mich orientiert habe, spreche ich einen einzelnen Fahrer an, erzähle wo ich hinwill, was ich vorhabe und handele den Preis aus. Durch meine Jahre in Asien kann ich recht gut handeln, aber hier in Indonesien verbietet sich für mich hartes Feilschen. Der Fahrer eines Moped-Taxis mit selbst zusammengeschweißtem Beiwagen verlangt 40.000 Rupien für die Fahrt zur Bus-Station. Das sind 2,45 Euro. Ich habe kurz vorher schon von einem anderen die Fahrt für 30.000 angeboten bekommen. Aber ich würde mich schämen, diesen freundlichen Mann nun um 61 Cent runterzuhandeln. Er wuchtet also meinen Koffer in seinen Beiwagen und ich klettere in den Platz der übrig bleibt. Auf der Fahrt unterhalten wir uns gut, obwohl wir über keine gemeinsame Sprache verfügen.

Im Reiseführer stand schon, dass Dumai keine schöne Stadt und für die meisten Reisenden nur eine Durchgangsstation beim Wechsel von Fähre und Bus ist. Dicke Regenwolken hängen über Dumai und der Himmel ist grau. Aber auch bei strahlendem Sonnenschein wäre Dumai hässlich. Brachliegende Flächen wechseln sich mit schimmeligen Betonwänden ab, der Straßenrand besteht aus Matsch und Bauschutt.
Die Bushaltestelle ist gar keine Bushaltestelle, sondern ein einfaches Holzhaus, an dem man eine Fahrkarte kaufen kann und wo offenbar ein Bus abfährt. Eine einäugige Frau verkauft mir das Ticket, doch der Bus fährt erst gegen Abend. Ich lasse in treuem Glauben mein Gepäck dort zurück und trotte den schlammigen Straßenrand entlang auf der Suche nach etwas zu essen. Es läuft in einem Straßenrestaurant wieder einmal auf gebratene Nudeln hinaus. Die mag ich sehr. Aber mittlerweile habe ich genug davon. Schon in Malaysia war oft die Alternative nur gebratener Reis. Ein wenig Abwechslung wünsche ich mir nun schon eine ganze Weile.
Zurück an der Bushaltestelle steht der Bus schon da. Durch die Pfützen watet man zur Hecktür und klettert hinauf. Mit diesem Bus werde ich heute Nacht einmal quer durch Sumatra fahren. 15 Stunden lang. Im Bus läuft laute indonesische Popmusik und die Männer rauchen ihre indonesischen Gewürzzigaretten und alle anderen rauchen sie zwangsläufig mit.
Die ersten Stunden der Fahrt geht es über eine schlechte Straße, auf der der Bus so schaukelt, dass man nicht schlafen kann. Ab Mitternacht geht die Fahrt aber über eine katastrophale Straße, auf der der Bus nur noch in Schrittgeschwindigkeit fahren kann. Von einem Schlagloch kippt er unvermittelt in ein anderes, so dass viele Male nicht viel fehlt, dass der Bus umstürzt. Immer wieder schrecken meine Mitfahrerinnen schreiend aus dem Schlaf auf. Ich versuche gar nicht zu schlafen, denn ich würde mir nur den Kopf irgendwo anschlagen. Stattdessen höre ich die einzige Playlist, die ich mir vorhin auf Spotify runterladen konnte: Massive Drum & Bass. Das passt perfekt zu dieser Fahrt. Während sich der Bus über die Holperpiste durch den tiefschwarzen Dschungel kämpft, leuchtet der Himmel mit einem Mal rot-orange und aus dem Fenster sehe ich eine zehn Meter hohe Feuersäule zwischen den Bäumen stehen. Zusammen mit dem Rütteln und der Musik ist das ein psychedelischer Moment, den ich seitdem nicht mehr vergessen kann. Die Flamme stammt von einem Gasfeld, wo überschüssiges Gas abgefackelt wird. Die ganze Nacht hindurch kommen uns endlose Kolonnen von Tankwagen entgegen. Für mich ist es auch ein eindrückliches Bild, wie brachial die fossile Energiewirtschaft ist.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.