Reisetagebuch

Die Altstadt von Sacramento lässt noch die Tage des Wilden Westens erahnen
Die Altstadt von Sacramento lässt noch die Tage des Wilden Westens erahnen

Frieren in der Sierra Nevada – Reggae in Sacramento

Die Nacht im Zug war wieder eiskalt. Ich habe schon eine Jacke an und einen Pullover darüber, doch das langt nicht für diese Temperaturen, die die Klimaanlage in den Waggons erzeugt. Als zusätzliche Wärmeschicht habe ich schon die Neoprenhülle meines Laptops über die Beine gelegt und ein Strandtuch dient mir als scheinbare Decke. Sie wärmt nur psychologisch, denn sie ist so dünn, dass man hindurchsehen kann. Doch auch diese Nacht überstehe ich und bin überrascht, wie lange man in dieser Zwangshaltung doch schlafen kann. Die Rückenlehne der Sitze lässt sich zwar weit nach hinten klappen und eine zusätzliche Beinablage erweitert die Liegefläche – ein richtiges Bett ersetzt das alles aber nicht. Trotzdem kann ich bis halb acht schlafen. Wie erwartet haben wir über Nacht Colorado verlassen und als ich den Vorhang beiseite ziehe, sehe ich auf die sanften Hügel von Nevada.

In Nevada sind die Berge sanfter als in Colorado
In Nevada sind die Berge sanfter als in Colorado

Während Colorado von Schluchten, erodierten Tafelbergen und kargem, felsigen Boden geprägt war, sind die Bergketten hier in Nevada weicher, der Boden ist sandig und mit spärlichen Büschen bewachsen. Auch die abgestorbenen Büsche, die durch den Wind wie ein Ball durch die Wüste getrieben werden, sieht man hier.

Die Wüste von Nevada
Die Wüste von Nevada

Ein langes Stück verläuft ein Highway parallel zur Bahnlinie. Es ist kaum Verkehr und meist sind es einzelne Lastwagen, die zu sehen sind. Sie erleben gerade die Trucker-Romantik, von der man in Deutschland träumt. Ob sie wollen oder nicht. Auch wenige Siedlungen gibt es. Der bedeutendste Ort ist auch die letzte, bei dem unser Zug in Nevada hält: Reno.

Trucker-Romantik in der Wüste von Nevada
Trucker-Romantik in der Wüste von Nevada

Mittlerweile musste auch die Uhr eine weitere Stunde zurückgestellt werden, denn in Nevada gilt schon die Pacific Time. Das sind acht Stunden Zeitunterschied zur deutschen Sommerzeit.

Jetzt fahren wir nach Kalifornien hinein und vor allem hinauf. Denn es geht hoch auf die Sierra Nevada, die „verschneite Bergkette“, wie die deutsche Übersetzung lautet. Und die macht ihrem Namen alle Ehre.

Die Sierra Nevada, die
Die Sierra Nevada, die "verschneite Bergkette", macht ihrem Namen alle Ehre

Es liegt noch sehr viel Schnee und es ist auch kalt. Noch kälter, als es ohnehin schon im Waggon ist. Kiefernwälder säumen die Berge, unten im Tal sind dunkelblaue Seen zu erkennen. Sehr langsam fahren wir einem Güterzug hinterher, der zwar auf dem Nachbargleis fährt, aber wegen der vielen Kurven trotzdem nicht überholt werden kann. Bestimmt eine Stunde bewegen wir uns nur ein bisschen schneller als Schrittgeschwindigkeit. Später steht unser Zug dann sehr lange auf freier Strecke.

Ziemlich lange fährt unser California Zephyr mit fast Schrittgeschwindikeit hinter einem Güterzug her
Ziemlich lange fährt unser California Zephyr mit fast Schrittgeschwindigkeit hinter einem Güterzug her

Es ist schon Mittagszeit und trotzdem schleicht unser Zug noch hier oben herum. Um halb zwei soll er eigentlich in Sacramento ankommen. Doch es ist fast vier Uhr, als ich endlich aus dem Zug komme. Am Bahnhofsgebäude sehe ich meinen Koffer auf einem Gepäckwagen. Er wurde also schon mal hier ausgeladen und ich hoffe, dass er später auch in den Zug geladen wird, der mit mir nach Seattle fährt. Doch das wird erst gegen Mitternacht sein. Hier in Sacramento habe ich nun noch sieben Stunden Aufenthalt. Zuallererst möchte ich etwas richtiges essen, denn seit beinahe einer Woche habe ich mich nur noch vom Inhalt meiner Proviant-Konservendosen ernährt.

Im habe die Kühlbox dabei, die ich für meinen Bruder gekauft habe. Im Zug ist sie praktisch, aber eben kein Rucksack und so ist es eine mühsame Schlepperei. Glücklicherweise muss ich nur um zwei Blöcke laufen, um in die Innenstadt von Sacramento zu kommen. Hier genehmige ich mir einen Burger und Salat und der größte Hunger ist gezähmt. Ich sehe ein Schild nach Old Sacramento und folge ihm durch eine Unterführung unter der Schnellstraße hindurch. Auf der anderen Seite komme ich im wilden Westen heraus. U

Die Altstadt von Sacramento lässt noch die Tage des Wilden Westens erahnen
Die Altstadt von Sacramento lässt noch die Tage des Wilden Westens erahnen

Unten am Sacramento River lasse ich mich auf einer Bank nieder. Dort stehen alte Dampflokomotiven und ein Raddampfer liegt hier. Eine Hinweistafel erläutert mir, dass hier der die Postreiter des Ponyexpress von Westen ankamen und ihre Post an das Schiff übergaben, dass sie dann weiter nach San Francisco beförderte. An allen Wochentagen außer sonntags. Da fuhr kein Schiff und die Pony-Postreiter mussten weiter bis an den Pazifik reiten. Später wurde dann die Eisenbahn gebaut, die fortan Fracht und Post beförderte. Doch auch dann noch übernahm an Sonntagen der Ponyexpress die Postbeförderung nach San Francisco.

Denkmal für die reitenden Postboten des Pony-Express
Denkmal für die reitenden Postboten des Pony-Express

Auf der Uferpromenade hat ein schwarzes Reggae-Ehepaar einen Stand aufgebaut und spielt dort über einen Lautsprecher ihre Musik. Einer ist DJ, der andere trommelt dazu oder singt über ein Mikrofon mit. Mit Western-Romantik hat das nicht zu tun, aber so ist das moderne Westküsten-Amerika eben. Ich schlürfe meinen Becher Root-Beer aus dem Burger-Laden und beobachte die Menschen, die für das Memorial-Day-Wochenende schick zurecht gemacht zu den Restaurants am Flussufer spazieren. Es ist ein buntes Völkchen aller Ethnien und Kleidungsstile.

Die Uferpromenade des Sacramento River mit dem Raddampfer
Die Uferpromenade des Sacramento River mit dem Raddampfer "Delta King" und den Dampflokomotiven des Eisenbahnmuseums

Um sieben Uhr mache ich mich auf die Suche, um noch etwas zu Abend zu essen. Ich würde gerne in ein mexikanisches Restaurant gehen, denn ich rechne damit, dass es davon nicht mehr so viele in Kanada geben wird, wie hier in Kalifornien, das eine direkte Grenze zu Mexiko und eine ausgeprägte Latino-Kultur hat. Es ist Freitagabend aber viele Restaurants schließen nun oder haben bereits geschlossen. Auch wenn viele Restaurants schon den ganzen Tag über geöffnet waren, ist das für mich nur schwer verständlich, wie diese Öffnungszeiten gestaltet sind.

Ein mexikanisches Restaurant ist in Laufweite gar nicht zu finden und schließlich bin ich froh, dass ich überhaupt noch irgendeines finde. Ich probiere es noch einmal mit einer Pizza. Das letzte Mal in San Antonio hatte ich damit eine sehr schlechte Erfahrung gemacht. Aber jeder verdient eine zweite Chance. Außerdem ist amerikanische Pizza grundsätzlich nichts Schlechtes und die hier in Pete’s Restaurant ist wirklich OK. Ich schaffe sie nicht mal ganz, weil der letzte Burger noch gar nicht so lange her ist und nehme mir die Hälfte in einem Pizza-Karton mit. Im Zug werde ich sie als Ergänzung meines Proviants gut brauchen können.

Kalifornien ist ein Sehnsuchtsort, doch für viele Menschen erfüllen sich die Hoffnungen nicht und der „American Dream“ wird zum Alptraum. Entlang der Bahnstrecke sind die zahllosen Zelte der Obdachlosen unübersehbar und auch in der Innenstadt von Sacramento gehören sie zum Stadtbild.

Mein Zug nach Seattle fährt erst um Mitternacht ab, doch ich mache mich trotzdem schon einmal auf den Rückweg zum Bahnhof, um mich dort niederzulassen und in der Nähe einer Toilette zu sein. Auch in der Wartehalle des Bahnhofs versuchen sich einige Obdachlose aufzuhalten, doch die Sicherheitsmitarbeiter identifizieren sie als nicht hierher gehörig, ziehen ihre Handschuhe an und werfen sie hinaus. Dabei haben sich die Menschen völlig unauffällig verhalten, doch es gehört wohl zu den Richtlinien der Bahnhöfe, dass sie dort nicht sein dürfen.

Die Lokalzeitung von Sacramento liegt kostenlos aus und wie schon bei der Zeitung in Boston bin ich überrascht, wie banal die Artikel sind. Diese Zeitungen sind die gleiche inhaltsdünne Suppe wie bei uns. Hier sind wenigstens mal die Comics lustig.

Wie auch an den anderen Bahnhöfen, gibt es auch in Sacramento eine persönliche Betreuung durch das Bahnpersonal. Der Schaffner kommt in die Wartehalle und kontrolliert bei uns allen schon mal die Fahrkarten und gibt uns dann schon mal den Papierstreifen mit dem Kürzel unseres Fahrtziels. Dann marschieren wir Fahrgäste zum Gleis und der Schaffner schaut, dass niemand verloren geht. Der Zug sollte laut Anzeige Verspätung haben, fährt nun aber doch überpünktlich ein. Der Schaffnerin am Einstieg zeige ich meinen Papierstreifen mit SEA für Seattle und sie teilt mir einen Sitzplatz zu.

Der Amtrak-Zug der
Der Amtrak-Zug der "Coast Starlight"-Linie fährt zu schnell ein, als dass ich ihn scharf hätte fotografieren können.

Heute bin ich ziemlich müde und im Waggon ist es dieses Mal nicht so kalt wie in den letzten Nächten. Unter diesen Bedingungen brauche ich nur wenige Minuten, um einzuschlafen und mit dem „Coast Starlight“-Zug durch das nächtliche Kalifornien Richtung Norden zu fahren.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.