Reisetagebuch

Amarillo by Morning

Heute beginnt meine Roadtrip durch Texas. Das Auto ist mit reichlich Wasser und noch mehr Dr. Pepper-Limonade beladen. Die Strecke habe ich auf Google Maps ausgekundschaftet. 340 Meilen, also etwa 545 Kilometer liegen heute vor mir. Mein Ziel: Die Stadt Amarillo im sogenannten Texas Panhandle, was frei übersetzt so viel bedeutet wie „Pfannenstiel von Texas“. Auf der Landkarte ragt nämlich ein kleines Stück Texas in die Bundestaaten New Mexico und Arizona hinein, so dass dieses Stück ein wenig so aussieht wie ein Griff, der an Texas dran ist. 


Ich habe in einem ziemlich schäbigen Motel in Fort Worth übernachten müssen, in dem bis in die Nacht hinein Gezeter auf Spanisch und in afroamerikanischen Slang zu hören war. Offenbar war ich nicht im besten Haus am Platz gelandet. Das wird schnell deutlich, als ich am Morgen den Frühstücksraum betrete, der gleichzeitig auch die Lobby und Rezeption ist. Ich verzichte auf das Essen und zapfe mir lediglich einen Kaffee in einen Pappbecher, den ich mit in mein Zimmer nehme.
Als ich anschließend mein Gepäck ins Auto lade ist von der anderen Seite des Parkplatzes wieder Geschrei zu hören. Ein Schwarze wirft gerade Hausschuhe und Flaschen nach einem Mann, der vor ihr die Flucht sucht. Sie hat ihm außerdem auch einiges Intimes an den Kopf zu werfen, weswegen ich vermute, dass er bis eben noch ihr Lebensabschnittsgefährte war. Wegen der geringen Trefferquote und mangels weiterer Munition setzt die Aufgebrachte auch noch zu einem Sprint an, doch sowohl die für das Keifen verbrauchte Luft als auch ihr Übergewicht führen bald zum Abbruch der Verfolgung. Ganz offensichtlich residiert in diesem Motel der Hochadel von Fort Worth. Keine weitere Minute möchte ich hier bleiben.

In der ersten Stunde, die ich mit meinem Auto auf den Innenstadt-Highways von Fort Worth unterwegs war, hätte ich mir gewünscht, vorher nochmal ein YouTube-Video zu den amerikanischen Verkehrsregeln angeschaut zu haben.
In der ersten Stunde, die ich mit meinem Auto auf den Innenstadt-Highways von Fort Worth unterwegs war, hätte ich mir gewünscht, vorher nochmal ein YouTube-Video zu den amerikanischen Verkehrsregeln angeschaut zu haben. 

 

Zunächst habe ich einige Meilen durch den Stadtverkehr von Fort Worth zu bewältigen. Die amerikanischen Vorfahrtsregeln an unbeampelten Kreuzungen sind mir bislang genauso fremd wie die Reihenfolge der Beschilderung und die Bestimmung der richtigen Fahrspur. Meist fahre ich auf einem innerstädtischen Highway, der fünf Spuren in eine Richtung hat, wobei man auf jeder von ihnen so schnell oder langsam fahren kann, wie man will. Später finde ich heraus, dass die vielen Fahrspuren meist der Vorsortierung dienen, so dass man rechtzeitig weiß, welche auch schon die übernächste Ausfahrt ist. Ein vernünftiges System, wenn man den dafür nötigen Platz hat. Insgesamt fließt der Verkehr gemächlich und kein bisschen aggressiv wie etwa auf den deutschen Autobahnen.

Über den Highway 287 nach Nordwesten verlasse ich die Stadt. Immer peinlich bemüht mich exakt an die Geschwindigkeitsbeschränkungen zu halten. Ab dem Ort Wichita Falls folgt der Highway dem Red River, der hier die mäandernde Grenze zum ansonsten sehr rechtwinkligen Bundestaat Oklahoma bildet.
Mein Mietwagen ist ein neueres Modell und bald habe ich ausgetüftelt wie der Tempomat und die automatische Abstandskontrolle zum Vordermann aktiviert und sinnvoll eingestellt wird. Als ich mein Handy zum Laden mit einem Kabel an die USB-Buchse stecke, erscheinen nicht nur die Navigation per Google Maps, sondern auch meine Spotify-Playlisten auf dem großen Fahrzeugdisplay.
Genauso hatte ich mir das gewünscht: Musik an, Tempomat an, eiskalte Dr. Pepper auf, Sitz bequem eingestellt und dann einfach 300 Kilometer mit dem Knie lenken, während ich die texanische Landschaft genieße.

Road Trip durch Texas
Tempomat an, Playlist an, Dr. Pepper auf und dann ein paar hundert Meilen mit dem Knie lenken

Die ist überraschenderweise von Windrädern geprägt. Kurz hinter Dallas hätte ich im texanischen Kernland eher unzählige hammerköpfige Erdöltiefpumpen erwartet. Die gibt es auch noch, aber noch viel mehr Windkraftanlagen.

So fahre ich also den Highway 287 hinauf und fühle mich ein wenig an Sachsen-Anhalt erinnert, wo ebenfalls in manchen Gegenden die Windräder das Panorama dominieren. Doch dieser Eindruck hält nur bis mein unmäßiger Dr. Pepper-Genuss seinen Tribut fordert und ich an der nächsten Raststätte rausfahre.

Mehrere Schilder warnen hier vor Klapperschlangen im Gras, das der Übersichtlichkeit halber penibel kurz geschoren ist.
Am Toilettenhaus weist ein Schild darauf hin, dass das Gebäude nicht nur der Notdurft, sondern auch im Notfall dient. Es ist nämlich gleichzeitig ein Tornado-Schutzraum. Tornados kommen besonders im Mai besonders häufig in Texas vor. Bislang hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wie ich mich in den offenen, ungeschützten Weiten der texanischen Ebene gegen Unwetter und Tornados behaupten könnte. Nun weiß ich es.

Toilettenhäusschen als Tornadoschutzraum
Toilettenhäusschen als Tornadoschutzraum

Noch habe ich kein Wort darüber verloren, weshalb ich überhaupt nach Amarillo fahre. Der Grund ist schlicht: Als ich mit den Planungen zu dieser Reise begonnen hatte, habe ich mir den gewaltigen Reiseführer zu den USA angesehen und das umfangreiche Kapitel über Texas. Nachdem ich es durchgelesen hatte, legte ich das Buch entnervt weg. In Texas gibt es zu viel und der Staat ist zu groß, als dass ich ihn mir in einem Rutsch komplett ansehen könnte. Also beschränke ich mich auf die Orte der Western- und Country-Kultur, die gemeinhin für typisch texanisch gelten. Mein Reiseführer war fortan die 80s-Country-Playlist von Spotify und der Titel „Amarillo by Morning“ von George Strait hat dafür gesorgt, dass ich nun auf dem Highway 287 in den Nachmittagsstunden in diese 200.000-Einwohner-Stadt einfahre.

"Amarillo by Morning" von George Strait hat mich motiviert hierher zu fahren
"Amarillo by Morning" von George Strait hat mich motiviert hierher zu fahren

„Man riecht Amarillo, bevor man es sieht“, hatten mich die alten Ladys im Flugzeugmuseum von Fort Worth gewarnt, das ich in der letzten Folge dieses Podcast unter anderem besucht hatte. Das liege daran, dass es dort bei weitem mehr Pferde und Rinder als Menschen gebe.
Als ich an meinem Motel aus dem Auto steige, finde ich dieses Vorurteil nicht bestätigt, aber immerhin war ich auch mitten in Amarillo, das vor gerade einmal 150 Jahren aus einem Eisenbahncamp für die Zugstrecke durch den Texas Panhandle gegründet worden war.

Für mein Motel habe ich dieses Mal zehn Dollar mehr pro Nacht investiert und anders als in Fort Worth habe ich nun eine ordentliche, saubere Unterkunft für die kommenden Tage und Nächte.

Während der Western-Kleidungsstil in Fort Worth noch etwas inszeniert wirkte bei den Menschen, die mir auf der Straße begegneten, tragen sie ihn hier in Amarillo mit Selbstverständlichkeit und aus Prinzip. Vor allem die Männer zeigen sich hier sehr konsequent in Cowboystiefeln, Jeans und mit wohlgestutzte Schnurrbärten. In teilweise gewaltigen Pick-Ups fahren sie an der Rezeption vor. Cowboyhüte sehe ich hier nicht nur, aber auch.

Wichtig ist nun, dass ich hier in Texas angekommen standesgemäß und ortsüblich zu Abend esse. Ich habe nicht so viele Tage in Amarillo vorgesehen, deswegen will ich nicht einfach irgendwo in einen beliebigen Burger-Diner gehen, sondern orientiere mich lieber an den Empfehlungen der Texas Bucket List, die mich schon in Fort Worth in Freds Texas Café und dort zum feurigen Diabolo Burger geführt hat.

Ich finde auf der Texas Bucket List ein Restaurant in Amarillo, dass mir schon vor vielen Hundert Meilen angekündigt wurde. Die Big Texan Steak Ranch. Sie sei die Heimat des 72-Unzen-Steaks, hieß es auf riesigen Werbeplakaten entlang des Highways. Wenn ich schon in Texas bin, dann halte ich es für meine Pflicht, mich mit einem ordentlichen Steak auseinanderzusetzen.

Die Big Texan Steak Ranch liegt am Highway 287. Ich bin also auf dem Weg nach Amarillo hinein schon einmal dran vorbeigefahren. Ein gewaltiges Schild auf einem Mast macht die Einfahrt zum Restaurant unübersehbar. Der Parkplatz ist ebenfalls riesig und schon jetzt fast bis auf den letzten Platz belegt. Es gibt sogar im Stil einer kleinen Western-Stadt gestaltete Übernachtungsmöglichkeiten.

Ein stetiger Strom von Fahrzeugen biegt gerade in diesem Moment auf den Parkplatz und die Leute, die aussteigen, bewegen sich allesamt in Richtig des Eingangs des Big Texan.

Drinnen bekomme ich am Empfang einen Gäste-Pager, der vibriert, wenn mein Tisch frei geworden ist. So lange stehe ich in der Warteschlange.

Schließlich werde ich an meinen Platz geführt und ich bin vom riesigen Gastraum überwältigt. Mehr Texas geht nicht. Im Grunde sieht es aus wie ein riesiger Saloon in einem Western-Film. Sicherlich hundert Tische stehen auf dem Parkett und weitere oben auf einem umlaufenden Balkon. Hirschgeweihe und anderes rustikales Dekor, lassen keine Zweifel, dass es hier um bodenständige Westernkultur handelt.

Die erste Etappe meines Roadtrips durch Texas wie sie auch in Folge 24 meines Reisepodcasts Voyage 2 Go nachzuhören ist.

Über einer Theke direkt am Grill leuchten die roten Ziffern einer digitalen Stoppuhr und zeigen 60 Minuten an. Sie sind für den berühmten Big Texan Steak Contest. Momentan hat sich noch jemand gefunden, der sich auf dieses Wettessen einlässt. Dabei geht es darum 72 Dollar für ein 72-Unzen-Steak zu zahlen. 72 Unzen sind etwas mehr als zwei Kilo gegrilltes Rindfleisch, die es gilt innerhalb von 60 Minuten zu vertilgen gilt. Wer das schafft, bekommt seine 72 Dollar wieder zurück.

Das ist definitiv einige Nummern zu groß für mich und so lasse ich es bei einem Steak knapp über 200 Gramm, das auch gute 20 Dollar kostet. Die Stimmung in dem Laden ist ausgelassen. Zwei rauschebärtige Country-Musiker laufen mit Gitarre und Geige umher und spielen für ein Trinkgeld auf Wunsch die Country-Klassiker, die ich schon die ganze Zeit auf der Fahrt hierher gehört habe. Es sind auch viele Familien mit ihren Kindern hier. Irgendwie haben alle Spaß miteinander und mit den Gästen an den Nachbartischen.
Als ich mein Steak vertilgt habe und zum Ausgang gehe, kommt es mir vor als hätte ich ein kleines Western-Abenteuer erlebt.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.