Reisetagebuch

Auf der Jagd nach dem Titanenwurz

Auf der Jagd nach dem Titanenwurz

In der Nacht hatte ich furchtbare Halsschmerzen. Es kann sein, dass ich mir im Kapselhotel in Singapur Corona eingefangen habe. Bei der letzten Corona-Infektion fühlt sich das nämlich genauso an. Zum chinesischen Neujahrsfest sind viele Chinesen in Singapur unterwegs gewesen, von denen die meisten wegen des knallharten Lockdowns in China noch nie mit Corona konfrontiert waren und nun mit hohen Infektionszahlen umherreisen.
Vielleicht waren es aber auch die eiskalten Stunden auf der Fähre. Oder beides. Auf jeden Fall bin ich krank.


Zum Frühstück gibt es genau ein Gericht zur Auswahl. Das ist natürlich gebratener Reis.
Für acht Uhr bin ich mit meinem Guide Roni verabredet. Er will mit dem Motorrad kommen. Um viertel nach acht lässt er mir ausrichten, dass er auf dem Weg sei. „Rubber Time“ – Gummi-Zeit nennt man das in Indonesien.
Schließlich ist aber das Ende des Gummis erreicht und Roni fährt mit seinem Moped vor. Ich habe ja meinen eigenen Motorradhelm dabei und unbefangen springe ich hinter ihm aufs Motorrad. Wir sind noch nicht einmal auf der Hauptstraße, da fängt es an zu regnen und wir halten an, um die Regenjacken anzuziehen. Es ist das erste Mal, dass ich sie auf dieser Reise brauche.

Der Kaffee ist fertig

In strömenden Regen fahren wir den Trans-Sumatra-Highway nach Norden. Der Highway hat nichts mit Autobahn zu tun, sondern ist eine Landstraße, die sich bergauf und bergab durch den Dschungel schlängelt. Nach 20 Kilometern biegen wir rechts ab auf eine Dorfstraße und fahren durch die Reisfelder eines Tals in ein kleines Dorf.
Hier bekomme ich nun einen ordentlichen Frühstückskaffee. Nämlich Kopi Luwak – Luwak-Kaffee.
Das ist eine besondere Kaffeeart, die einiges durchgemacht hat. Der Luwak ist nämlich eine Schleichkatzenart, die sich gerne von Kaffeefrüchten ernährt. Die unverdaulichen Kaffeebohnen nehmen einmal den Weg durch den Darm des Luwaks und werden dort fermentiert. Das Tier bevorzugt für sein großes Geschäft freie, saubere Flächen. Dort sind die Kothaufen für die Kaffeebauern der Umgebung leicht zu finden. Sie sammeln die Ausscheidungen auf, rösten sie, mahlen sie und brühen einen Kaffee, den ich jetzt trinke. Wegen des aufwendigen Herstellungsprozesses ist der Kopi Luwak sehr teuer. Für mich schmeckt er einfach wie Kaffee. Ein bisschen besser als der gewöhnliche Kaffee, denn durch die Hochlage in den Bergen Sumatras hat der Kaffee weniger Säure.

Danach taucht ein Einheimischer auf in Badelatschen. Roni gibt mir zu verstehen, dass ich mit ihm mitgehen soll, er werde mir die Rafflesia Arnoldii zeigen. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich darunter zu verstehen habe, aber tue, wie mir geheißen. Es ist ein schöner Spaziergang über einen kleinen Pfad durch die sanft-grünen Reisfelder. Dann wandern wir auf den Dämmen zwischen den Wasserflächen und klettern wir auf einmal steil bergauf durch ein Gebüsch. Durch den Regen ist der Boden rutschig und bergauf steigen, ist nicht meine Stärke. Schon in Folge 10 dieses Podcasts bin ich in Malaysia bei einer Dschungelwanderung schwer aus der Puste gekommen und bei dieser Kletterei ist es schon nach wenigen Minuten nicht anders.
Der Pfad wird immer abenteuerlicher, ist manchmal nur einen Fuß breit und liegt direkt an einem Abhang, wo es tief in den Dschungel runter geht.
Wir erreichen einen kleines Fluss und balancieren auf den Steinen durch das Wasser. Jetzt weiß ich auch, warum mein schweigsamer Einheimischer, der leichtfüßig etwa 20 Meter vor mir geht, Badelatschen anhat. Vom Fluss müssen wir nun einen matschigen, steilen Berg hochklettern. Nur an den Wurzeln hat man einen festen Tritt, aber hier gibt es nun viel Lianen, an denen man sich wie an einem Seil hochzeihen kann. Viele Male rutsche ich weg und sehe mich schon den Berg runterschliddern. Aber die Lianen halten mich. Man muss nur immer drauf achten, dass sie nicht morsch sind und auch tatsächlich was aushalten.
Schließlich sind wir angekommen. An Wurzeln und Lianen halten wir uns am steilen Hang fest und vor uns ist sie die Rafflesia Arnoldii.

Die Riesenrafflesie

Die Riesenrafflesie nennen Botaniker auf Latein Rafflesia arnoldii. Ihre Blüten der Riesenrafflesie messen bis zu einem Meter im Durchmesser, sind bis zu elf Kilogramm schwer und gelten als die größten Einzelblüten im Pflanzenreich.
Obwohl sie die größte Blume der Welt ist, ist die Riesenrafflesie ein Schmarotzer. Sie wächst vollständig in Lianen hinein und hat außen nur ihre riesige Blüte. Sie sieht aus wie ein großer roter Krug, in dessen tiefes Innere ich nur nach einer weiteren Kletterpartie hineinblicken kann. Dort sind rote Stacheln zu sehen. Die fünf großen dunkelroten Blütenblätter sind eher Blütenlappen und gelblich gepunktet wie ein Fliegenpilz. Die Rafflesia Arnoldii ernährt sich von Insekten. Am liebsten Schmeißfliegen. Um die anzulocken, ahmt sie Farbe und Geruch von Aas nach. Mein einheimischer Führer hält deswegen einige Meter Abstand. Ich bin allerdings wegen meines Schnupfens, der sich mittlerweile eingestellt hat, immun gegen jeden Geruch und kann sie mir aus der Nähe ansehen.

Mühsam kämpfe ich mich nach der Begegnung mit dieser Riesenpflanze wieder den Berg hinunter. Nun regnet es heftig und jetzt führt der Fluss so viel Wasser, dass wir hier einfach durch das Wasser laufen. Meine Hose ist bis zu den Knien mit Schlamm verschmiert und ich muss sehr aufpassen, dass ich mit meiner Erkältung trotzdem sorgsam die Tritte suche. Eine Unachtsamkeit kann innerhalb einer Sekunde das Abenteuer zum Alptraum werden lassen. Mein Führer sieht im Vergleich zu mir tadellos aus und hat in seinen Badelatschen auch das Klettern auf dem schmierigen Erdboden mühelos gemeistert. Ich befrage ihn ein bisschen und er erzählt mir, dass er jeden Tag hier hochkommt. Er kennt die Orte, an denen ein paar Riesenrafflesien wachsen. Sie blühen nur ein paar Tage und er schaut täglich nach, wo die schönste gerade ist, falls jemand wie ich vorbeikommt und sie sehen will.

Als wir an der Kaffeerösterei ankommen ist Roni weg. Eine geschlagene Stunde sitze ich frierend und mit laufender Nase in meiner nassen Kleidung herum und warte. Als er schließlich aus der Moschee kommt, hat es aufgehört zu regen und wir steigen wieder aufs Motorrad. Unterwegs erzählt er mir, dass er keine Wahl gehabt habe. West-Sumatra ist strikt islamisch und hier sind wir auch noch auf dem Land. Heute ist Freitag und das ist der Tag des wichtigen Freitagsgebets. Er konnte nicht anders, als mit den Männern zum Gebet in die Moschee zu gehen. „Sonst kriege ich Probleme“, sagt er. Diese Erklärung kann ich akzeptieren. Andere Länder, andere Sitten. Das gehört zum Reisen dazu.

Mit dem Motorrad durch den Dschungel von Sumatra

Wir fahren zurück auf den Trans-Sumatra-Highway. Aber nur kurz. Dann geht es links ab und diesmal holpern wir auf einem Pfad durch den Berg-Dschungel. Geröll und Matsch machen es manchmal notwendig, dass ich absteigen und Roni und das Motorrad von hinten anschieben muss, damit wir durchkommen. Wir fahren lange über einen schmalen Berg-Grat über den Baumkronen. Links und rechts geht es sicher 50 oder mehr Meter in die Tiefe. Dann kommen wir an einem kleinen Hain an, in dessen Mitte ein Holzhaus steht. Ein Junge und seine alte Mutter kommen uns entgegen. Roni kennt die beiden. Denn in ihrem Garten wächst der Titanenwurz. Die Botaniker nennen die Riesenpflanze Amorphophallus, was eine bessere Beschreibung ist. Denn Amorphophallus übersetzt man mit „unförmiger Penis“. Jedenfalls ist das Gewächs locker 2,50 hoch und umschlossen vom größten Blütenblatt der Welt. Wenn sich der kelchartige Schirm um den Titanwurz öffnet, hat er die Dimension eines großen umgedrehten Sonnenschirms. Das Öffnen geschieht innerhalb einer Viertelstunde und heute soll es soweit sein. Um das zu sehen, haben wir den abenteuerlichen Weg durch den Dschungel hierher auf uns genommen. Momentan sieht es aber noch nicht danach aus. Das Einzige, was nun erstmal richtig aufblüht ist meine Erkältung. Es regnet die ganze Zeit, meine Hose ist nass und die dünne Regenjacke wärmt nicht. Meine Nase läuft unaufhörlich und mein Niesen schallt durch das Urwald-Tal.
Wir sitzen auf einem Brett unter einer Plane und starren zu viert – die Mutter, ihr Sohn, Roni und ich – auf den Riesenphallus und warten, dass sich etwas tut. Diese Reise hat mich bereits in vielerlei Weise Geduld gelehrt. So hat für mich dieses stundenlange Warten etwas von innerer Einkehr und Meditation, die nur unterbrochen wird von meinem Naseputzen.
Neben mir steht eine Palme Salakpalme, mit brutalen Dornen zwischen denen ein klebriges, schleimiges Harz herabtropft. Von ihr ernten wir die sogenannte Schlangenfrucht, die etwa so groß ist wie eine Kiwi, aber eine garstige Haut hat, wie eine Schlange. Sie schmeckt ein bisschen wie ein alkoholisches Getränk.
Es wird schon Abend und ich frage Roni, ob es die Blume wert ist, bis in die Nacht hier im Dschungel zu bleiben und dann in der Dunkelheit und bei Regen über den schmalen Berggrat den anspruchsvollen Weg zurück fahren zu müssen. Er möchte sie unbedingt sehen und meine Erkältung dämpft meine eigene Entschlusskraft, so dass ich Roni die Entscheidung überlasse. Noch weitere Stunden sitzen wir in der Dunkelheit und warten, dass sich die Pflanze öffnet, doch mir ist klar, dass sie das bei Regen und Nacht nicht tun wird, wenn sie Fliegen anlocken möchte, die bei Tag und Trockenheit umherfliegen. Ich teile diesen Gedanken mit Roni, der schließlich ein Einsehen hat.

Der Junge wird auf seinem Motorrad vorausfahren und uns den Weg weisen, damit wir hier sicher wieder raus kommen.
Meine Kleidung ist nun komplett nass, ich habe seit dem Frühstück nichts mehr Ordentliches gegessen. Zu allem Überfluss ist mein Motorradhelm voll Wasser gelaufen und die Innen-Polsterung hat sich vollgesaugt. Ich trage zusätzlich nun zu meinem Schnupfen noch einen nassen, kalten Schwamm auf dem Kopf.

Der Weg im Regen zurück ist mühsam. Einen großen Teil der Strecke muss ich laufen, weil das Motorrad Roni und mich nicht durch den Schlamm tragen kann. Das einzige Licht ist der Scheinwerfer des Mopeds und ich stapfe vorneweg und zeige Roni den Weg, wo er durchkommt, um das Motorrad dann von hinten zu schieben. Es ist im Grunde ein miserabler Moment, aber einer den ich nicht vergessen werde, denn ein richtiges Abenteuer fühlt sich selten komfortabel an. Endlich sind wir aus dem Urwald raus und wieder zurück an der Asphaltstraße des Trans-Sumatra-Highway. Der Junge verabschiedet uns. Er war bescheiden aber klug und hatte die Pflanze schon seit Jahren studiert. Wenn er nur die Chance auf eine richtige Schule und Bildung hätte, wäre er ohne Frage eine Bereicherung für die botanische Wissenschaft.
Roni und ich ertragen stoisch die letzten Kilometer im Regen auf dem des Trans-Sumatra-Highway zurück nach Bukittinggi. An einem Essenstand kaufe ich mir dort noch eine Portion gebratene Nudeln.
Zurück in meinem Zimmer fällt es mir schwer, zu entscheiden, welches dringende Bedürfnis ich zuerst stillen möchte. Nach einer heißen Dusche stopfe ich die Nudeln in mich hinein und dann einiges aus meiner Reiseapotheke.
Dieser Reisetag war einer von denen, an denen man abends im Bett liegt und nicht glauben kann, dass man das alles wirklich an nur einem Tag erlebt hat.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.